Zustellung von Briefen im Reichspostgebiet 1872-1899


Schon vor 1872 bestand die Notwendigkeit, gerichtliche Schriftstücke zu versenden, diese Versendung zu dokumentieren und dabei
der Post  die Gewährleistung für die  Korrektheit der Übergabe zu übertragen. Es bestanden jedoch bei der Reichsgründung  unterschiedliche Bestimmungen, wie dies im Einzelnen zu geschehen sei. Erst zum 1.10. 1879 wurde für das Reich eine einheitliche Regelung wirksam.


Verfahren
vor  dem 1.10.1879 ab dem 1.10.1879
Vorschriften Vorschriften
Postsendungen und ihre Gebühren Postsendungen und ihre Gebühren
Behändigungsschein Zustellungsurkunde


I. Verfahren vor dem 1.10. 1879

Als Begriff für die dokumentierte Übergabe eines Briefes  wurden nebeneinander die Worte Insinuation, Behändigung und Zustellung bzw. insinuieren, behändigen und zustellen benutzt. Die für dieses Verfahren vorgesehenen Formulare entwickelten sich in den Staaten des Norddeutschen Bundes unabhängig, und so findet man in den ersten Postordnungen für das Deutsche Reichspostgebiet von 1871, 1874 und auch 1879 nur den lapidaren Satz: In Betreff der Bestellung von gerichtlichen Schreiben mit Behändigungsschein bewendet es bei den hierüber bestehenden besonderen Bestimmungen.
Das Verfahren für nicht gerichtliche Zustellungen wurde dagegen in den Postordnungen festgelegt. Viele Beispiele belegen, dass zumindest die preußischen gerichtlichen Verfahren nicht von den dort beschriebenen Verfahren abweichen. Ich habe dies aber nicht anhand preußischer Gesetzestexte überprüft.
Die Gebühren und das postmäßige Verfahren wurde dagegen schon von der Postverwaltung des Nordeutschen Bundes einheitlich geregelt. Anlässlich der Einführung des neuen Portofreiheitsgesetzes 1869 wurde eine neue Verfahrensregelung zur Behandlung von Behändigungen, die Festlegung der Gebühren und das Verfahren ihrer Einziehung veröffentlicht. Zu dieser Zeit  waren Behändigungsscheine (Insinuations-Documente) für Briefe von Privatpersonen noch nicht vorgesehen. Die folgenden Postreglements und Postordnungen haben das dort beschriebene Verfahren - bis auf die Einführung der Behändigungen für Privatpersonen - nur stilistisch - nicht aber inhaltlich geändert. (Die Gebühensätze wurden jedoch durch die Tarifbestimmungen des Postreglements von 1871 geändert.)  Es finden sich bis zur Änderung zum 1.10.1879 auch keine Korrekturen des dort beschriebenen Verfahrens in den Verfügungen der Postverwaltung.

A. Vorschriften

Die Vorschriften für die Zustellung finden sich in dem Postreglement von 1871 in den §§ 23 und 36 und in den Postordnungen von 1874 und  1879 (für die Zeit bis zum 30.9.1879) in den §§ 22 und 35. Die Bestimmungen unterscheiden sich in der Wortwahl, beschreiben jedoch für den Zeitraum von 1872 bis zum 30.9.1879 das gleiche Verfahren. Die anfallenden Gebühren werden 1871 noch getrennt in der Anlage über Tarifbestimmungen im § IX behandelt,  und sind danach jeweils im § 22 aufgeführt. Die Gebührensätze sind in dem genannten Zeitraum unverändert geblieben.

B. Postsendungen und ihre Gebühren

Die Zustellung eines Schriftstücks erfolgte durch zwei Postsendungen.
Der Absender hatte den zuzustellenden Brief auf der Adresse mit dem Vermerk "Mit Behändigungsschein" zu versehen und ihm einen "gehörig ausgefüllten" Behändigungsschein - der früher auch als 'Insinuations-Document' bezeichnet wurde - beizufügen. Im Behändigungsschein waren  die Art des Schriftstücks und der Adressat vom Absender anzugeben und auf der Rückseite die Anschrift des Absenders zu vermerken.
Brief und Behändigungsschein wurden zusammen an das Empfänger-Postamt gesandt und dort ein Briefträger beauftragt, den Brief zu behändigen und den Behändigungsschein entsprechend auszufüllen:
Der Adressat hatte mit seiner Unterschrift auf dem Behändigungsschein zu bestätigen, dass er den Brief in Empfang genommen hat, der Briefträger mit seiner Unterschrift zu bestätigen, dass er den Brief richtig und an wen er den Brief abgeliefert hat (Die Einzelheiten dazu sind dem § 36 bzw. 35 zu entnehmen). Den so ausgefüllten Behändigungsschein lieferte der Briefträger bei seinem Postamt ab. Dieses beglaubigte in der Regel  - durch Siegelung  - die korrekte Durchführung der Behändigung und sandte diesen Behändigungsschein zurück an den Absender.

Verweigerte der Adressat die Annahme oder wurde niemand angetroffen, so wurden privat veranlasste Zustellungen als unbestellbar zurückgesandt, die übrigen jedoch an die Wohnungstür geheftet.

Die Gebühren für diese beiden Postsendungen setzen sich aus folgenden Beträgen zusammen:
1. dem normalen Porto für den Brief  (für Briefe mit Behändigungsschein in den Landbestellbezirk des Aufgabepostorts zunächst 1/2 Silbergroschen (2 Kreuzer)),
2. einer Gebühr für die durchgeführte Behändigung  in Höhe von 1 Silbergroschen (4 Kreuzer)  bzw. 10 Pfennigen für Behörden und Notare oder 2 Silbergroschen (7 Kreuzer) bzw. 20 Pfennigen für Privatpersonen,
3. im Fernverkehr dem Briefporto bis 15 g für die Rücksendung des Behändigungsscheins (im Ortsverkehr wurde der Behändigungsschein kostenfrei zurückbefördert (dies wird ab 1875 explizit im § 32 Absatz X der jeweiligen Postordnung festgestellt; vorher sind nur keine Kosten genannt)).

Die Gebühren wurden entweder vollständig vom Absender getragen oder vollständig dem Adressaten zugewiesen. Im ersten Fall wurde zunächst nur das Porto für den Brief bezahlt und der Brief frankiert und der Rest nach der Rücksendung vom Absender erhoben. Es gehören also im Normalfall frankierte Briefe mit Behändigungsschein und taxierte Behändigungsscheine zusammen. Im anderen Fall wurde der Brief taxiert und der Behändigungsschein nach Bezahlung durch den Empfänger für die Rücksendung frankiert. Dabei war offensichtlich nicht vorgeschrieben, wie viel von den eingezogenen Gebühren durch Marken auf dem Behändigungsschein verklebt werden musste. Das Briefporto für die Rücksendung wurde in der Regel verklebt.
Verweigerte der Adressat die Bezahlung, so wurde dies auf dem Behändigungsschein vermerkt und der Gesamtbetrag vom Absender erhoben.
Konnte die Behändigung nicht durchgeführt werden, so wurden Brief und Behändigungsschein  kostenfrei zurückgeschickt und das Porto für den Hinweg vom Absender eingezogen, wenn der Brief nicht frankiert wurde.
Für die Zeit bis zur Einführung der Mark-Währung, wurden die Beträge in der Währung  erhoben, die für das erhebende Postamt galt.

Bei Behörden, die an der Aversionierung der Gebühren  teilnahmen, wurde  - wenn die Behörde die Gebühren tragen wollte -  der  Aversionierungsvermerk auf dem Brief und auf  dem Behändigungsschein angebracht.


C. Behändigungsschein (Insinuations-Document)

Aus der Vielfalt der Behändigungsscheine soll ein Formulartext herausgegriffen werden, der in unterschiedlichen Druckformen in der Zeit von 1872 bis 1879 in Preußen verwendet wurde und in der Wortwahl auf dem Postreglement von 1871 beruht.


 Bureau
No.  ____von 18____

                                                    Post-Behändigungs-Schein zur No. ___________

Über die Zustellung d______________________________________________________

vom __ ten __________18 ____in der

_______________________________________________________________________


_______________________________________________________________________

Die oben bezeichnete ___________ de__ Königl. Kreisgerichts _____________________

adressirt an ______________________________________________________________

zu _______________________________________
habe ich empfangen.
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
                _________________ den ____ten __________18___

                                                               ___________________
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Nachdem ich mich in d___ *)  _______________ des Adressaten begeben, habe ich  die oben

bezeichnete
________________daselbst, da ich den Adressaten **) ________ persönlich

angetroffen ***), __________________________________________________________


_________________________________________________________________________

am ______ten _______18 ___ ___ Uhr ______mittags richtig insinuirt, welches ich bescheinige.

                  ____________________________ den ____ten ____________

                                                                         _________________________
                      
                                                     vereideter ___________________________
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
*) Es ist anzugeben, ob der insinuirende Briefträger etc. sich in 'die Behausung', in 'den Laden' oder in
'die Schreibstube' des Adressaten begeben hat.
**) Auszufüllen mit dem Wort 'nicht'. wenn der Adressat nicht persönlich angetroffen worden ist.
***) Auszufüllen entweder
1. wenn der Adressat persönlich angetroffen und die Insinuation bewirkt ist, mit den Worten:
'den Adressaten selbst' - oder
2. wenn der persönlich angetroffene Adressat die Annahme verweigert hat, mit den Worten:
'dieser jedoch die Annahme verweigert hat, durch Anheften an die Thür,'
unter ausdrücklicher Beifügung des Grundes der verweigerten Annahme, - oder
3. wenn der Adressat nicht persönlich, wohl aber einer seiner Angehörigen, seines Gesindes oder sein  Hauswirth,
oder - sofern die Insinuation an einen Haus- oder Grundeigenthümer erfolgen soll, - dessen  Verwalter oder
Administrator oder der Pächter seines Landgutes angetroffen ist, mit den Worten:
'd......................., welche..... die Zustellung an den Adressaten versprochen hat'.
Dabei ist das verwandschaftliche  oder contractliche Verhältnis, in welchem die Person, an welche die Insinuation
erfolgt ist, zu dem Adressaten steht, ausdrücklich mit anzugeben.
Oder
4. wenn weder der Adressat persönlich, noch eine der bei 3 bezeichneten Personen angetroffen  oder die Annahme von den Letzteren verweigert worden ist, mit den Worten:
'auch die Insinuation weder an einen von seinen Angehörigen oder seinem Gesinde, noch an seinen Hauswirth möglich gewesen ist, durch Anheften an die Thür.'

Das Formular gliedert sich in vier (hier zur Erläuterung grün abgegrenzte) Abschnitte:
1. Der Kopf des Formulars war vom Absender  vor Abgabe des  Briefes  auszufüllen
2. Der Empfänger hatte den Empfang zu Quittieren
3. Der Briefträger hatte die korrekte Behändigung zu dokumentieren und mit seiner Unterschrift zu bestätigen. Das Siegel der Postanstalt wird links neben der Unterschrift angebracht.
4. Die Fußnoten zur Anweisung für den Briefträger, wie die Ausfertigung des Behändigungsscheins zu geschehen hat.

Die Rückseite ist mit dem vorgedruckten Text

zurück
an das Königliche Kreisgericht

                zu
______________________

in einer Weise versehen, die eine Faltung des Formulars wie ein Faltbrief nahe legt. Oft ist auch noch die Überschrift

Post-Behändigungs-Schein
         zur No.

vorgedruckt.
Es gibt in den Jahren 1872 bis 1879 in Preußen eine Reihe von ähnlichen Formularen.  Weitgehend gleich formuliert sind die Anleitungen (Fußnoten) zur Ausfüllung des Textes für den Briefträger, jedoch entsprechend angepasst, wenn es sich um nicht gerichtliche Zustellungen handelt. Wem das alles zu theoretisch ist, sehe sich dazu ein Beispiel an.

Dass es für gerichtliche Behändigungen auch andere Formen gibt, zeigen Beispiele aus Mecklenburg-Schwerin, aus dem Königreich Sachsen und aus Gotha. Eine ganz andere Form der Zustellung bestand in Baden

Belege zu Briefen mit Behändigungsschein bis 30.9.1879
Belege zu Behändigungsscheinen bis 30.9.1879



II. Verfahren ab dem 1.10.1879

Es werden zunächst die geltenden Vorschriften vorgestellt, dann die Postsendungen und ihre Gebühren erläutert und zuletzt die Zustellungsurkunde im Einzelnen beschrieben.

A. Vorschriften

Für die Zustellung durch die Post gelten folgende Vorschriften:
 - Civilprozeßordnung (CPO) für das Deutsche Reich vom 30.Januar 1877 (in Kraft seit dem 1.10.1879) §§ 152 ff
 - Neufassung der §§ 22 (Briefe mit Postzustellungsurkunde) und  35 (Bestellung der Schreiben mit Zustellungsurkunde) der Postordnung vom 16.3.1879 durch Verfügung 122 vom 24.8.1879 (Amtsblatt No. 53, S. 337ff )
 - ergänzende Weisungen aus der oben genannten Verfügung 122
 - Anweisung über das Verfahren, betreffend die postamtliche Bestellung von Schreiben mit Zustellungsurkunden (Anlage zur Verfügung 122)
 - Verfügung No. 196 vom 27. Dezember 1879 (Amtsblatt No. 80, Seite 471f)  zur Nachsendung und Niederlegung von Briefen mit                    Post-Zustellungsurkunden

Durch die erste Civilprozeßordnung für das gesamte Deutsche Reich wurde eine neue Rechtsgrundlage für das Zustellungswesen begründet und zugleich die Begriffe  Zustellung und Zustellungsurkunde eingeführt (bisher Behändigung und Behändigungsschein).
Für die gerichtlichen Zustellungen wurde der Post direkt vorgeschrieben, wie eine Zustellung des Schriftstückes zu behandeln war.
Für die Privatpersonen und nicht gerichtliche Behörden wurde durch die Postordnung das gleiche Verfahren festgelegt.
Gleichzeitig nahm die Post eine Änderung der Gebühren vor - auch Notare und Behörden hatten jetzt eine Zustellungsgebühr von 20 Pf. zu entrichten.

Diese Vorschriften haben sich - nach meiner Kenntnis - bis zum Ende des Jahres 1899 nicht geändert. Wesentliche Änderungen ab 1.1.1900 mit in Kraft treten einer neuen Fassung der CPO waren:
 - Einschreiben sind nicht mehr zulässig
 - bei vereinfachter Zustellung muss ein blaues Formular verwendet werden
 - die vereinfachte Zustellung wurde auch bei Briefen von Privatpersonen statthaft.

Lediglich bei der Zustellung an Handelsfirmen hat man 1897 durch Verfügung vom 31.3. das Formular C87d für Handelsgesellschaften erweitert.

B. Postsendungen und ihre Gebühren

Die Zustellung eines Schriftstücks besteht aus zwei Postsendungen
der Zusendung eines verschlossenen Briefumschlages an diejenige Person, der das Schriftstück zugestellt werden soll - mit zwei Formularen zur Zustellungsurkunde und
der Rücksendung der ausgefertigten Zustellungsurkunde bzw. des unbestellbaren Umschlags mit den Formularen an den Absender.

Der verschlossene Briefumschlag musste vom Absender
mit der Adresse des Empfängers,
dem Text "Anbei ein Formular zur Zustellungsurkunde nebst Abschrift"
und bei amtlichen Zustellungen mit der Geschäftsnummer und auf der Rückseite mit dem Dienstsiegel als Verschluss
versehen werden. Gerichte und Behörden hatten die Möglichkeit, Zustellungen ohne Abschrift der Zustellungsurkunde durchzuführen. Gerichtliche Sendungen mussten dann mit dem Zusatz "Vereinfachte Zustellung" versehen sein, dazu gab es blaue Formulare.
Die Formulare waren im Kopf auszufüllen (s. C.) und auf der Rückseite mit der Anschrift des Absenders zu beschriften.
Von Seiten des Gerichts war die Übergabe des Schreibens an die Post besonders zu dokumentieren (s. Beispiel).
Bei der Übergabe an die Post wurde der Briefumschlag ohne die Formulare zur Feststellung des Portos gewogen.
Beides wurde zusammengefügt und an das Empfängerpostamt gesandt.
Ein Postbote  dieses Postamtes hatte die Zustellung durchzuführen, die Zustellungsurkunde auszustellen und ein Exemplar dem Postamt zur Rücksendung der Urkunde zu übergeben.
Das Verfahren der Zustellung wird unter C genauer beschrieben. Wurde ein Schreiben bei der Postanstalt niedergelegt, weil niemand angetroffen wurde, so wurde es dort sechs Monate aufbewahrt. Hatte der Empfänger den Bestimmungsort verlassen, so wurden Gerichtsschreiben in der Regel nur innerhalb des Amtsgerichtsbezirks, andere Schreiben ins Deutsche Reich nachgesandt. Andere Verfahrensweisen mussten auf der Aufschrift und im Kopf der Zustellungsurkunde vermerkt sein.

Als Gebühren wurden erhoben
die übliche Gebühr für die Übersendung des Briefes
die Zustellungsgebühr von 20 Pf., wenn die Zustellungsurkunde tatsächlich ausgefertigt wurde
die Gebühr für die Rücksendung der ausgefertigten Zustellungsurkunde von 10 Pf. für den Fernverkehr. Im Ortsverkehr wurde die Zustellungsurkunde kostenfrei an den Absender ausgeliefert (§ 32 X der Postordnung).
Konnte der Empfänger nicht ermittelt werden, so wurde die Sendung  kostenfrei an den Absender zurückgesandt.
 
Im § 22 der Postordnung war vorgeschrieben, dass entweder der Absender oder der Empfänger das gesamte Porto zu tragen hatte:
Wollte der Absender das Porto tragen, so wurde zunächst nur das Porto für den Brief nach den allgemeinen Gebührensätzen erhoben und der Brief entsprechend frei gemacht ( in der Regel frankiert oder z. B. der Stempel frei lt. Avers hinzugefügt). Die Kosten für die Rücksendung der Zustellungsurkunde und die Zustellungsgebühren wurden erst bei der Ablieferung der  Zustellungsurkunde beim Absender eingezogen. Dazu wurde die Zustellungsurkunde auf der Adressseite entsprechend blau taxiert. Im Ortsverkehr gab es zeitweise Sondervorschriften, die vorschrieben, dass die Zustellgebühr zusätzlich zu frankieren war, im Landbestellbezirk auch zusätzlich die Bestellgebühr von 5 Pf.

Sollte nach dem Willen des Absenders der Empfänger die Gebühren tragen, so wurde der Brief im Fernverkehr entsprechend taxiert. Hatte der Empfänger die Gebühren vollständig bezahlt, so wurde die Zustellungsurkunde mit dem Wert der Zustellungsgebühr und der Rücksendungsgebühr (also 20 Pf. im Ortsverkehr und 30 Pf. im Fernverkehr) frankiert.
Der Empfänger konnte jedoch die Bezahlung aller Gebühren auch verweigern, ohne dass dies für das Zustellungsverfahren Folgen hatte. In diesem Fall wurden die gesamten Kosten dem Absender per Vermerk auf der Zustellungsurkunde in Rechnung gestellt.

C. Zustellungsurkunde

Die Zustellung wurde in der CPO so detailliert geregelt, dass sich die Postverwaltung genötigt sah, fünf verschiedene Formulare für die unterschiedlichen Adressatenkreise anzufertigen. Neben dem Verfahren gemäß CPO, dass zu nächst beschrieben wird, gab es für Gerichte und andere Behörden noch die vereinfachte Zustellung. Sehr ausführlich ist das Verfahren in der Anweisung zur Verfügung 122 erläutert.

1. Verfahren gemäß CPO mit Reichspost-Formularen

Die Formulare der Reichspost haben ein nicht ganz einheitliches Format von  21 bis 21,5 cm Breite und 32 bis 34 cm Höhe. Da die Formulare gewöhnlich an der linken Seite mit dem Brief  verbunden waren, ist diese Seite oft ausgefranst. Schmalere Urkunden sind daher in der Regel beschnitten.
Die Formulare wurden nach den folgenden Adressatenkreisen benannt:
a) Zustellung für gewöhnliche Fälle
b) Zustellung für Gewerbetreibende
c) Zustellung für Rechtsanwälte
d) Zustellung an Behörden, Gemeinden, Korporationen und Vereine (neu ab 1897)
e) Zustellung an Unteroffiziere und Gemeine
Die Formulare tragen die Zusätze a. - e. zu der Formularnummer C. 87.

Die Formulartexte setzen sich aus folgenden Textteilen zusammen, die teils unterschiedlich, teils für alle Adressaten gleich formuliert waren:

1.1. Die Adresse
Sie wurde so auf die Rückseite gedruckt, dass sie durch zweimaliges Falten des Formulars die Anschriftenseite für die Rücksendung bildete.
Sie war handschriftlich vom Absender zu ergänzen und für alle Formulare identisch.



1.2. Der Kopf der Urkunde
Dieser wurde vom Absender ausgefüllt und war bei allen Formularen gleich:



1.3. Die Beschreibung der Übergabe
In diesem Textteil hatte der zustellende Postbote zu beschreiben wo und an wen er den zuzustellenden Brief übergeben hatte. In diesem Teil unterscheiden sich die Texte.
Der Übergabetext gestaltet sich am einfachsten bei e), da die Zustellung immer an den (stellvertretenden) Kommandeur der militärischen Einheit des Soldaten zu erfolgen hatte (§ 158 CPO). Da die Postverwaltung annahm, dass dieser stets erreichbar war, wurden keine anderen Personen für eine ersatzweise Zustellung vorgesehen und weder die Niederlegung noch die Verweigerung der Annahme des Schriftstücks ins Auge gefasst.


Der § 166 CPO legte fest, an wen das Schriftstück zuzustellen war, wenn der Adressat nicht selbst angetroffen wurde. Dieser Teil gilt gleich lautend für die Fälle a-d.




Der § 168 CPO regelt die Übergabe an Gehilfen der Gewerbetreibenden (b)

 oder Rechtsanwälte (c),


während der § 169 das Verfahren regelt, wenn der Vorsteher der unter d) genannten Institutionen nicht erreicht werden konnte. Der Text für den Fall d) ist bei gleichen Grundelementen etwas spezieller formuliert und daher nur im Ganzen verständlich. Da mit der Zeit aufgefallen war, dass weder das Formular für Gewerbetreibende noch das Formular für Vereine bei Handelsfirmen besonders zutreffend war und der Begriff Vorsteher für Handelsgesellschaften nicht besonders glücklich gewählt war, änderte man 1897 durch Verfügung vom 31.3. das Formular C87d (neu).

Wurde die Annahme des Schriftstücks ohne gesetzlichen Grund verweigert, so wurde das Schriftstück am Orte der Zustellung zurückgelassen (§ 170 CPO):


In den Fällen a-d musste zusätzlich geregelt werden, was zu geschehen hatte, wenn niemand angetroffen wurde. Dies regelt einheitlich der § 167 CPO. Das Schreiben wurde nach Wahl des Postboten beim Amtsgericht, bei der Postanstalt, bei dem Gemeindevorsteher oder dem Polizeivorsteher niedergelegt und soweit möglich Nachbarn darüber unterrichtet:


Für die schriftliche Anzeige war ein entsprechendes Formular ( C. 87 f. ) vorgeschrieben:

1.4. Unterschrift
Einheitlich ist dann wieder die Unterschrift des Postboten mit Orts- und Datumsangabe, so wie Angabe des Postamts:


1.5. Abschrift
Der Postbote hatte die Abschrift der Urkunde - die mit der Urschrift übereinstimmen musste - an den Empfäger zu übergeben. Meistens wurden für die Abschrift mit der Urschrift identische Formulare benutzt. Auf diesen war vor der Übergabe die Absenderadresse auf der Rückseite durchzustreichen und vor die Unterschrift des Postboten das Wort "Beglaubigt" zu setzen.

1.6. Urkunde
Durch die gewissenhafte Ausfertigung des jeweiligen Formulars erstellte der Postbote eine Urkunde, auf deren Bedeutung die Postverwaltung bei der Einführung dieses Verfahrens besonders hingewiesen hatte. Diese Urkunden waren ein fester Bestandteil der Rechtspflege im Deutschen Reich.

2. Abänderungen der Formulare bei anderen Verfahrensweisen.

Die Formulare waren auf die Gerichtsvollzieher als bei dem Verfahren handelnde Personen abgestellt. Schon wenn Gerichtsschreiber oder Gerichte als Absender auftraten, so waren an mehreren Stellen handschriftliche Änderungen vorzunehmen.
Die Formulare, die den Gerichtsvollziehern und den Gerichten kostenlos zur Verfügung gestellt wurden, wurden aber auch an andere Behörden und private Personen für 5 Pfg. für 10 Stück verkauft. Diese durften aber nicht ohne von der Post vorgenommene handschriftliche Textstreichungen verkauft werden. Alle Worte und Zeichen, die auf den Gerichtsdienst hinwiesen, waren zu streichen (s. Verfügung 122) und die Niederlegung durfte nur noch bei dem Gemeindevorsteher oder der Postanstalt erfolgen.

Für die Gerichte und andere Behörden - nicht jedoch für Privatpersonen - war es möglich, den zuzustellenden Brief ohne eine Abschrift der Zustellungsurkunde auszuliefern (vereinfachte Zustellung). Dazu wurden mit den oben beschriebenen Formularen identische Formulare auf blauem Papier hergestellt. Auf diesen Formularen waren die Hinweise auf die Abschrift zu streichen. Bei Gerichtsschreiben war der Text "Vereinfachte Zustellung" auf dem Briefumschlag hinzuzufügen.

In einzelnen Fällen kann man feststellen, dass die handschriftlichen Änderungen nicht immer vollständig durchgeführt wurden und auch weiße Formulare für die vereinfachte Zustellung benutzt wurden. Im § 2 der Anweisung ist festgelegt, dass die blauen Formulare nur für die vereinfachte Zustellung durch Gerichte vorgesehen sind, während andere Behörden dafür weiße Formulare zu verwenden haben. Diese Regel ist aber offenbar in der Praxis nicht immer eingehalten worden.

Nicht alle Behörden und Gerichte haben sich der Formulare der Postverwaltung bedient. Beispielsweise haben Gerichte - teilweise unter Beibehaltung der Formularnummer - die Adressseite und den Kopf der Urkunde für ihre Zwecke angepasst, um nicht immer wieder die Änderungen handschriftlich vornehmen zu müssen, oder für Gerichte und Behörden wurden darüber hinausgehend die Texte zu a, b und c zusammen gefasst und von privater Seite gedruckt. Durch diese Anpassungen wurde aber das Verfahren in keiner Weise geändert.

Die Reichspost hat also für das neue Verfahren nur einen nach ihrer Ansicht zweckmäßigen Rahmen zur Verfügung gestellt, den ihre "Kunden" nicht immer zu schätzen wußten. Die Durchführung selbst richtete sich dabei immer nach den Bestimmungen der Civilprozessordnung.

Belege zu Briefen mit Zustellungsurkunde ab 1.10.1879
Belege zu Zustellungsurkunden ab 1.10.1879